Please turn your phone!
Antonia Fabian




Kind in OP-Saal mitgenommen: Prozess


(C) APA Erwin Scheriau

Am Bezirksgericht Graz-Ost standen heute eine Neurochirurgin und ihr Kollege vor Gericht. Die Ärztin soll im Jänner 2024 ihre damals zwölfjährige Tochter in den OP des LKH Graz mitgenommen haben – laut Anklage durfte das Mädchen dabei ein Bohrloch in die Schädeldecke eines Patienten setzen. Beide Angeklagten bestreiten das: Das Kind habe den Bohrer nicht selbst bedient, sondern nur die Hand auf das Gerät gelegt.

Zwischen Vokabeln und Operation

Die Ärztin hatte an jenem Samstag Dienst, ihre Tochter lernte im Dienstzimmer Englischvokabeln. Als ein Patient mit schwerem Schädel-Hirn-Trauma nach einem Forstunfall eingeliefert wurde, wollte das Mädchen mit in den OP. „Ich habe mich hinreißen lassen, ja zu sagen“, sagte die Angeklagte vor Gericht. Die Operation verlief ohne Komplikationen, der Patient überlebte. Beim abschließenden Eingriff – dem Setzen einer Sonde zur Überwachung des Hirndrucks – soll die Zwölfjährige laut Anklage gefragt haben, ob sie helfen dürfe. Die Mutter habe in diesem Moment telefoniert, der mitangeklagte Chirurg habe daraufhin den Bohrer bedient. „Ich hatte immer Kontrolle über Bohrer und Pedal“, erklärte er. Das Mädchen habe lediglich kurz die Hand auf den Bohrergriff gelegt, die Kontrolle über das Gerät habe er allein gehabt.

Widersprüchliche Aussagen und „blöder Mutterstolz“

Die Aussagen der Zeuginnen fielen unterschiedlich aus. Eine Anästhesistin berichtete, sie habe vier Hände am Bohrer gesehen – zwei davon seien jene des Mädchens gewesen. Eine andere Mitarbeiterin des OP-Teams, die direkt danebenstand, sagte hingegen, sie habe nicht erkannt, wer tatsächlich gebohrt habe; in einer früheren Aussage hatte sie aber angedeutet, das Kind könnte beim Eingriff „Hand angelegt“ haben.

Im Zeugenstand wurde die Anästhesistin emotional. Auf die Frage eines Kollegen, ob es stimme, dass die Tochter der Angeklagten „Hand angelegt“ habe, habe sie bejaht – und ergänzt: „Wie kann man nur so deppert sein.“ Richterin Gundula Neudeck wollte wissen, warum sie das nicht relativiert habe, wenn das Mädchen den Bohrer nicht selbst geführt habe. Die Zeugin atmete kurz durch und sagte dann: „Schon die bloße Beteiligung des Kindes ist das Problem. Ich empfinde das nach wie vor als eine Frechheit, dass die Kollegin uns ihre Tochter untergejubelt hat, ohne unser Wissen. Und deswegen habe ich gesagt: Ja, sie hat Hand angelegt.“ Am Ende ihrer Befragung wendete sie sich erneut an die Angeklagte: „Das, was du uns angetan hast, das war sensationell. Sensationell und ethisch völlig unvertretbar.Und dass man dann nicht einsteht dafür, das finde ich zum Davonrennen.

Auf der Intensivstation soll die Ärztin anschließend im Überschwang erzählt haben, ihre Tochter habe „ihr erstes Bohrloch gemacht“. Vor Gericht bezeichnete sie diese Aussage als Ausdruck von „blödem Mutterstolz“, nicht als Tatsachenbehauptung.

Nach der Operation kursierten im Krankenhaus rasch verschiedene Versionen der Ereignisse. Bald erreichte ein anonymes Schreiben den Vorstand der Neurochirurgie, in dem von der Beteiligung des Kindes die Rede war. Daraufhin lud man den mitangeklagten Arzt zu einem Gespräch und konfrontierte ihn mit dem Vorwurf, die Zwölfjährige habe tatsächlich gebohrt. Nach kurzem Zögern soll der Arzt dies bejaht haben – später erklärte er jedoch, er habe damit lediglich die „aktive Mitwirkung“ der Tochter gemeint, nicht ein eigenständiges Bohren.

Tochter schweigt – Prozess vertagt

Die inzwischen 14-jährige Tochter verweigerte die Aussage. Die Staatsanwaltschaft sprach zu den Chirurgen von einer „großen Respektlosigkeit gegenüber dem Patienten“. Beide Angeklagten plädierten auf nicht schuldig. Eine Verurteilung wegen leichter Körperverletzung (§ 83 StGB) würde bis zu ein Jahr Haft bedeuten. Der Prozess wird am 10. Dezember fortgesetzt.

Nach der Verhandlung sprachen wir mit dem Verteidiger Michael Kropiunig des zweitangeklagten Arztes, der betonte:

Der Patient, der die Operation ohne bleibende Schäden überstanden hat, war am Dienstag krankheitsbedingt nicht im Gericht. Er hat sich dem Verfahren als Privatbeteiligter angeschlossen und fordert Schmerzensgeld.

Ursprünglich wurde im Fall wegen schwerer Körperverletzung gegen das gesamte OP-Team ermittelt. Letztlich wurde nur gegen die Ärztin und den damals in Ausbildung stehenden Chirurgen Anklage wegen leichter Körperverletzung erhoben. Eine rechtliche Diskussion entspann sich auch um die Frage, ob nicht das Delikt der „eigenmächtigen Heilbehandlung“ passender gewesen wäre.